Gutachten spielen bei Prozessen im Baurecht eine zentrale Rolle, und das gilt zukünftig verstärkt auch für Privatgutachten. Der Bundesgerichtshof hat in einer aktuellen Entscheidung (Beschl. v. 28.05.2025 – XII ZB 65/25) betont, dass Gerichte verpflichtet sind, sich kritisch mit Privatgutachten auseinanderzusetzen und nachvollziehbar zu begründen, warum sie einem gerichtlichen Gutachten den Vorzug geben. Auch wenn die Entscheidung aus dem Betreuungsrecht stammt, entfalten die Grundsätze weitreichende Bedeutung – insbesondere auch im Baurecht.
Gerichtsgutachten als Beweismittel
Im Bauprozess ordnet das Gericht häufig die Einholung eines Sachverständigengutachtens an, etwa zur Frage von Baumängeln, zur Schadenshöhe oder zur Ursachenklärung bei Feuchtigkeitsschäden. Das gerichtliche Gutachten ist ein echtes Beweismittel und unterliegt strengen Anforderungen an Neutralität und Methodik. Der Sachverständige steht im Dienst des Gerichts, nicht einer Partei, und sein Gutachten bildet regelmäßig die Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung.
Privatgutachten als Parteivortrag
Demgegenüber ist ein Privatgutachten lediglich eine qualifizierte Stellungnahme im Parteivortrag. Es entfaltet nicht denselben Beweiswert, kann aber für die Prozessstrategie entscheidend sein. Ein gut begründetes Privatgutachten kann methodische Schwächen des Gerichtsgutachtens aufzeigen oder alternative Erklärungsansätze für Baumängel liefern. So kann es das Gericht veranlassen, ein Ergänzungsgutachten einzuholen, den Sachverständigen zu befragen oder sogar einen neuen Gutachter zu bestellen.
Pflicht zur Auseinandersetzung mit dem Privatgutachten
Die Rechtsprechung des BGH stellt klar: Das Gericht darf ein Privatgutachten nicht einfach ignorieren. Erhebt eine Partei substanzielle Einwendungen gegen das Gerichtsgutachten, ist das Gericht verpflichtet, diese ernsthaft zu prüfen. Es muss sich mit den Argumenten des Privatgutachtens auseinandersetzen und in der Urteilsbegründung darlegen, weshalb es dennoch dem Gerichtsgutachten folgt – oder welche ergänzenden Schritte zur Aufklärung unternommen werden.
Praxisbeispiel: Feuchtigkeit im Neubau
Ein Bauherr klagt gegen den Bauträger wegen massiver Feuchtigkeit im Keller. Das vom Gericht beauftragte Gutachten kommt zum Ergebnis, die Ursache liege in einer unzureichenden Belüftung durch den Bauherrn selbst. Der Bauherr legt daraufhin ein Privatgutachten vor, das methodische Fehler im Gerichtsgutachten aufzeigt: Der gerichtliche Sachverständige habe keine Feuchtigkeitsmessungen an den Außenwänden durchgeführt und die Abdichtung der Bodenplatte nicht überprüft. Das Privatgutachten kommt zu dem Schluss, dass die Schäden vielmehr auf eine mangelhafte Abdichtung durch den Bauträger zurückzuführen seien.
Das Gericht darf diese Einwände nicht übergehen. Es muss prüfen, ob die Argumente des Privatgutachtens berechtigt sind. Gegebenenfalls ist ein Ergänzungsgutachten einzuholen oder der Sachverständige im Termin anzuhören. Nur so kann eine tragfähige Grundlage für die Beweiswürdigung geschaffen werden. Unterlässt das Gericht diese Prüfung, begeht es einen Verfahrensfehler – der in der Berufung oder Revision korrigiert werden kann.
„Für die anwaltliche Praxis im Baurecht ergibt sich daraus eine klare Linie: Privatgutachten sind ein wichtiges Mittel im Rechtsstreit. Sie ersetzen zwar kein Gerichtsgutachten, können aber entscheidenden Einfluss auf den Prozess nehmen, wenn sie fundierte und nachvollziehbare Kritikpunkte liefern.“
Rechtsanwalt Hans-Christian Schwarzmeier, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
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